Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Sehenswürdigkeiten“

von Gerhard Prokop im Kunstverein Bad Aibling

am 10. April 2011, 19.00 Uhr, von Dr. Evelyn Frick

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die „Stadtlandschaften“ von Gerhard Prokop, denen sich der Rosenheimer Künstler seit nunmehr fünf Jahren widmet, verwirren.

Die Objekte der Darstellungen glaubt man zu kennen. Vor allem, wenn sie sich in unserer Gegend, also in Rosenheim, im Inntal, in Kolbermoor, in Bad Aibling oder auch München befinden. Man hat sie schon oft gesehen; ist regelmäßig an ihnen vorbei gefahren. Und genau das ist es. Man hat sie nur als Passant, also im Vorbeigehen, en passant, wahrgenommen.

Und selbst, wenn man stehen geblieben wäre und die Szenerie näher betrachtet hätte, irgendwie hatte man sie anders in Erinnerung. Gerhard Prokop spielt mit unseren Sehgewohnheiten. Er verblüfft uns, irritiert uns. Er verwandelt und verfremdet die Objekte. Bei ihm werden sie magisch.

Allein schon die Standpunkte, die er für seine Bilder wählt, geben den Dingen eine Aura des Ungewöhnlichen. Die Darstellungen verweigern sich dem schnellen Blick, der leichten Konsumierung. Sie fordern ein genaues Hinsehen, ein exaktes Analysieren. Manchmal ist ein Aha-Effekt unausbleiblich.

Wenn Gerhard Prokop diese Ausstellung mit „Sehenswürdigkeiten“ betitelt, so ist das durchaus auch ironisch zu verstehen.

Unter „Sehenswürdigkeiten“ begreift man gemeinhin die kulturellen und ästhetischen Höhepunkte eines Ortes. Ihnen widmeten sich schon die Vedutenmaler des Barock wie Canaletto oder Bellotto, die man getrost als Vorfahren der modernen Postkartenfotografen bezeichnen kann. Wer kennt nicht die malerischen, detailgetreuen und liebenswürdigen Blicke auf Venedig oder Dresden?

Klopft man die „Stadtlandschaften“ von Gerhard Prokop unter dem Aspekt „Sehenswürdigkeiten“ im üblichen Sinne ab, so beginnt man unweigerlich zu schmunzeln. Die Luitpoldhalle in Rosenheim, eines meiner Lieblingsbilder übrigens, eine Sehenswürdigkeit? Wohl eher nicht, auch wenn sie einst der Musentempel für die Meisterkonzerte war. Das Kieswerk an der Innlände? Der Schrottplatz in der Traberhofstraße? Die Alte Spinnerei in Kolbermoor vor der Renovierung? Der Kellerberg in Bad Aibling? Das Gleisdreieck in Berlin? Es gibt gewiss Schöneres und für Touristen Sehenswerteres. Und doch, es sind alles real existierende Orte.

Um zu verstehen, was hier auf dem Weg vom realen Objekt zum verfremdeten Bildmotiv passiert, lassen Sie mich den Entstehungsprozess der Prokopschen „Stadtlandschaften“ skizzieren. Er ist langwierig und intensiv.

Alles beginnt, wie wohl bei jedem Kreativen, mit der Auswahl des Motivs. Bevorzugter weise sind dies Brücken, Straßen, weite Hallen wie in Bahnhöfen oder Parkhäusern, Gebäudezeilen, Panoramen und alle möglichen hässlichen Ecken.

Zu Lieblingsmotiven in der näheren Umgebung, wie die Eisenbahnbrücke über die Mangfall, geht der genaue Beobachter regelmäßig und zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten und Wetterstimmungen und fotografiert sie. Sperrig erwies sich der Münchner Hauptbahnhof. Erst nach wiederholtem Aufsuchen und Fotografieren zeigte er sich im gewünschten Licht.

Reich ist aber auch Prokops Palette an fernen, teilweise exotischen Orten und Motiven. Reisen in die Ferne werden gut vorbereitet, um den kurzen Aufenthalt effektiv zu nutzen. Im Internet recherchiert der Maler mögliche Motive. Dass dann vor Ort das Wetter, wie in Hamburg der starke Regen, ganz andere als die geplanten Bilder ergibt, wird bewusst akzeptiert. Das ist Teil des Werkprozesses. Auch kann sich beim Sichten zu Hause ergeben, dass ein ganz anderes Motiv wesentlich mehr zur Gestaltung anregt als das zuvor anvisierte. So geschehen beim Hauptbahnhof in Prag, dessen Front ein riesiges Werbeplakat für eine Ausstellung des tschechischen Fotografen Jan Zatorsky ziert. Neben dem Plakat reizte auch der Gedanke, dass an diesem Bahnhof Franz Kafka und Gerhards Vater Karl Prokop an- und abreisten.

Nun folgt das Fotografieren. Das Objekt wird in drei Aufnahmen, die sich überlappen und auf gleicher Höhe liegen, aufgenommen. Hilfreich erweist sich hierbei, dass Gerhard Prokop in sehr jungen Jahren als Fotograf bei einer Werbeagentur Erfahrungen sammeln konnte in verschiedenen Techniken wie der Studiofotografie, der Werbefotografie oder der Fotografie für Reportagen. Sein damaliges Arbeiten mit legendären Kameras wie der Hasselblad Superwide oder der Linhof 9x12 legte einen soliden handwerklichen Grundstock und schulte sein fotografisches Auge.

Wichtig ist zu betonen, dass Gerhard Prokop ausschließlich Aufnahmen verwendet, die er mit seiner Digitalkamera selbst aufgenommen hat. Die barocken Vedutenmaler verfuhren ähnlich. Sie setzten die Camera obscura ein, um die Hauptlinien der gewählten Ansicht festzuhalten.

Die Aufnahme mit einem technischen Gerät, egal ob moderne Digitalkamera oder alte Camera obscura, verändert das Aufgenommene für unser Sehen. Wenn wir eine Fotografie betrachten, befinden wir uns auf einer Metaebene. Wir sehen etwas nicht direkt, mit eigenen Augen, sondern indirekt über ein Medium.

Mit einem Bildbearbeitungsprogramm setzt Gerhard Prokop dann zu Hause am PC die drei Aufnahmen zu einem breiten Querformat zusammen und richtet stürzende Linien auf. Das Wegretuschieren von Menschen und Autos führt zu einem deutlichen Akt der Verfremdung. Brückenkonstruktionen oder Hallen erscheinen nun in ihrer vollen technischen Klarheit. Hier unterscheidet sich Gerhard Prokop grundsätzlich von den barocken Vedutenmalern, die ganz bewusst Staffagefiguren zur Belebung und Verstärkung der räumlichen Wirkung in ihre Bilder hinein komponierten. Prokop dagegen klärt, räumt leer, abstrahiert.

Schon früh beschäftigte sich der Künstler mit den Möglichkeiten neuer Technologien, hatte 1989 seinen ersten PC und betreibt seit 1999 seine Homepage.

Das derartig überarbeitete Foto wird nun auf eine MDF-Platte projiziert. Dabei werden aber nur die grundlegenden Umrisslinien mit Bleistift nachgezogen.

Nun folgt eine geduldiges und feinteiliges Arbeiten in 30-40 Schichten. Mit Lineal und Liner wird das Gerüst der Geraden gezogen. Mit Gouache-Farben wird die Bildstruktur aufgebaut. Der Ertrag jeden Tages wird in einer Fotodokumentation festgehalten. Eine Schicht Harttrockenöl bereitet dann den Grund für die nun folgende Ölfarbe. Dann trocknet das Bild für ein Jahr bevor der Firnis aufgetragen wird.

An kleinen Formaten arbeitet Gerhard Prokop um die drei Wochen, an großen um die zwei Monate.

Den weichen Seidenglanz, der sie so wertvoll und anziehend erscheinen lässt, verdanken die fertigen Bilder einer ganz besonderen Art von Firnis. Das Rezept zu diesem Firnis hatte Prokop Ende der 1970er Jahre von einem Bad Aiblinger Künstler erhalten. Aziz Raza vermittelte ihm damals wertvolle Kenntnisse aus seinem Experimentierlabor und machte ihn vertraut mit speziellen Techniken des Kreidegrundes, der Malmittel und des Wachsfirnis. Als Großneffe des Malers Hermann Urban hatte Raza dessen Rezepthefte intensiv durchgearbeitet, weitergeführt und unter anderem eine ganz spezielle Technik der Enkaustik, also der Wachsmalerei, entwickelt.

Die „Stadtlandschaften“ bilden aktuell eine markante Station auf dem künstlerischen Weg, den Gerhard Prokop konsequent gegangen ist. Vor drei Jahren wurden die ersten davon im Kunstverein Rosenheim gezeigt und fanden in der Süddeutschen Zeitung eine ausführliche Würdigung.

Als Kind begleitete der Künstler seinen Vater, den an der Prager Akademie ausgebildeten Maler Karl Prokop, auf zahlreichen seiner Malwanderungen in unserer Gegend. Er saß neben ihm, sah im beim Aquarellieren und Zeichnen zu und aquarellierte und zeichnete bald selbst bei diesen Gelegenheiten. Der Vater hatte ihm Papier, Stifte und Farben gegeben und ließ ihn einfach machen. Der Junge lernte mehr durch das praktische Üben und das Zusehen als durch Anleitungen. Der Vater hielt sich mit Kritik und Korrekturen bewusst zurück, wollte die eigene Kreativität des Sohnes sich entwickeln lassen.

Nach einer kurzen Phase des Surrealismus und der Fantastischen Malerei Anfang der 1970er Jahre stand für den Suchenden schnell fest, dass diese Genres ihm nicht genügten. Hier konnte man alles bringen, war alles möglich. Alles war aber auch zu beliebig. Die Motive entzogen sich jeglicher Kontrolle. Gerhard Prokop jedoch wollte seine Malerei an der Wirklichkeit prüfen. Die „Richtigkeit“ der Darstellung wurde bald zum unverzichtbaren Kriterium und so wandte er sich früh und entschieden dem Realismus zu. Hier lässt sich das Dargestellte immer wieder am vorgegebenen Objekt überprüfen. So entstanden zuerst Stillleben und Landschaften in traditioneller Manier.

Bald folgten Arrangements aus Schachteln, Schuhen, Besen, die Inszenierung einer Kochplatte oder einer Bohrmaschine. Zunehmend fanden die Stilmittel des Fotorealismus mit ihrer scharfen Wiedergabe und ihrer Hinwendung zur Alltagskultur ihre Umsetzung. Der Förderpreis der Stadt Rosenheim im Jahre 1976 als Zeichen früher Wertschätzung sei hier erwähnt.

Konsequenterweise griff Gerhard Prokop die „bewegten Fotos“ auf, die uns damals schon tagtäglich ins Wohnzimmer geliefert wurden. Seine „Fernsehbilder“ aus dem Anfang der 1980er Jahre paraphrasierten die bundesdeutsche TV-Wirklichkeit großformatig und haben bereits historischen Charakter.

Einige Jahre lebte er in München als gefragter Illustrator für Werbeagenturen, Verlage, Zeitungen und Zeitschriften. Diese Tätigkeit fand ihren Niederschlag in den beiden Ausstellungen „Out of Munich“, die 1988 und 1991 in der Städtischen Galerie Rosenheim gezeigt wurden und einen aktuellen Überblick über das Schaffen Münchner Illustratoren bot. Mit seinen aufschlussreichen Arbeiten war Gerhard Prokop in internationalen Schauen von New York bis Eilat in Israel, von Berlin bis Graz vertreten. Regelmäßig präsent ist er in den Jahresschauen der Kunstvereine von Rosenheim und München.

Bald begann Gerhard Prokop Fotos, die er auf einer seiner zahlreichen Reisen aufgenommen hatte, als Bildvorlage zu wählen.

Ganz bewusst thematisierte er damals Ansichten aus drei Städten, die zu den kulturellen Höhepunkten bei Reisen nach Ägypten, Italien und Marokko zählen. Aber was er uns zeigt, sind keine Sehenswürdigkeiten im landläufigen Sinn. In Kairo sehen wir den rückwärtigen Teil eines alten, schäbigen Busses mit wartenden und herumlungernden Einheimischen. In Florenz blicken wir auf die triste Fahrbahn einer Hauptverkehrsstraße, Autos und Passanten. In Meknes können wir eine Gruppe von Kindern betrachten, deren Handeln vielschichtig ist.

Verstörend wirken die Porträts von Indios aus dem brasilianischen Regenwald und aus dem Hochland von Bolivien, die als Erträge von Reisen ab den 1990er Jahren entstanden. Wer blickt uns hier an? Was denken diese Menschen? Sind ihre Bemalungen, ihr Schmuck, ihre Frisuren, ihre Waffen noch authentisch? Oder sind sie zur Attitüde für einen zahlenden Fotografen verkommen?

Auf der documenta 5 in Kassel hatten im Jahre 1972 US-amerikanische Künstler erstmals einem breiten deutschen Publikum ihre neu entwickelte Kunstrichtung des Fotorealismus präsentiert. Die damals überwiegend ablehnende Haltung der Deutschen hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert.

Hervorragende Ausstellungen wie kürzlich in der Hypo Kunsthalle in München, die Malerei und Bildhauerei des Realismus in ihrer ganzen Bandbreite zeigten, signalisieren eine neue, frische, unverstellte Aufnahme beim Kunstpublikum. Die Jahre, wo Konkrete Kunst und Abstrakte den Markt beherrschten, sind vorbei. Die Bandbreite in den Galerien ist deutlich umfangreicher geworden. Nicht zuletzt durch die figurative Malerei der Leipziger Schule rund um Heisig und Tübke sowie ganz aktuell den hoch gehandelten Neo Rauch, wurde das Interesse der Kunstliebhaber auf Malerei gelenkt, die etwas bildlich Fassbares mehr oder weniger realistisch zeigt.

Wer immer noch der Meinung ist, dass Fotorealisten nur Fotos abmalen, verrät ein deutliches Informationsdefizit.

Für Gerhard Prokop stellt die Fotografie lediglich den Ausgangspunkt für seinen vielschichtigen und aufwendigen Werkprozess dar.

Es empfiehlt sich, einen oder besser regelmäßige Blicke auf die Homepage von Prokop im Internet zu werfen. Hier aktualisiert der Künstler laufend den Fortschritt der Arbeit an seinem aktuellen Werk. So kann jeder auf einfache Weise und jederzeit verfolgen, was Gerhard Prokop gerade malt und wie er es malt. Diese Internet-Dokumentation stellt eine große Ausnahme dar in der Welt der Kreativen. Der überwiegende Großteil will sich hier gerade nicht in die Karten schauen lassen, vermeidet geradezu ängstlich diese Transparenz während des Schaffensprozesses, fürchtet die Preisgabe von „Werkstattgeheimnissen“.

Die „Stadtlandschaften“ von Gerhard Prokop setzen Wirklichkeit auf eine ganz eigene, persönliche Weise um. Bereits die Wahl des Motivs zeigt das sichere Auge des Künstlers. Die Bearbeitung der Fotografien führt in mehreren Schritten zu einer manipulierten Wirklichkeit und einem hohen Grad von Verfremdung. Die malerische Umsetzung ist Ausdruck der individuellen Handschrift des Künstlers, dem besonders die schwierigen Wasserpartien besonders gut liegen und gelingen.

Gerhard Prokop schafft aus Digitalfotos eine eigene Bildrealität.

Beim Bildaufbau rückt der Künstler gerne ein zentrales Bauwerk oder eine ausgewählte technische Konstruktion in die Mittelachse des Bildes und lässt die Szenerie sich rechts und links davon symmetrische entwickeln. Kontraste aus Fülle und Leere, Nähe und Ferne, Natur und Technik gliedern die Komposition. Und plötzlich können sich Ansichten aus Frascati, Wien und La Paz zusammenschließen zu einem gemeinsamen Kontext, gebildet aus einem bilddominierenden Rundbau.

Der Realismus in der Malerei ist nicht neu. Man findet ihn in nahezu allen Epochen. In der Spätgotik vor 1500 fand man offenbar Gefallen an brutal-grausig dargestellten Passionsszenen Christi oder Marterszenen von Heiligen. Mit eigenen Augen verfolgte Folterungen, Kriegsgräuel und Hinrichtungen mögen dabei die Fantasie der Künstler beflügelt haben.

Einen Fotoapparat gab es damals natürlich noch nicht. Kaum war aber die Fotografie erfunden, bezeichnenderweise von einem Maler, dem Franzosen Jacques Daguerre, setzten die Maler des 19. Jahrhunderts diese Technik zur Gewinnung von Bildvorlagen ein. Erst nach und nach widmet die Forschung sich diesem Thema und entdeckt bei so mancher Berühmtheit wie Franz von Lenbach oder Franz von Stuck oder den niederländischen Landschaftsmalern der Haager Schule diesen gezielten Einsatz der Fotografie. Allen gemeinsam ist aber, dass man die Fotovorlage nicht unbedingt publik machte. Eingeweihte wussten davon, die große Öffentlichkeit ließ man im Unklaren. Vielleicht resultiert das Unbehagen des durchschnittlichen Kunstfreundes bei der Verwendung von Fotovorlagen noch aus dieser Zeit. Vielleicht empfindet man seit damals dies als Mangel an künstlerischem Impuls.

Vielleicht konnte der Fotorealismus, der ganz offen und ehrlich damit umgeht, sich deshalb vor allem in den USA entwickeln, fern von bürgerlichen Ressentiments.

Zwischen Richard Estes und Andreas Orosz markiert das Schaffen von Gerhard Prokop eine ganz eigene Position des Realismus. Prokop braucht keine New Yorker Straßenzüge, um die Verlorenheit des modernen Menschen in seiner ihm entfremdeten Umwelt darzustellen. Gerade weil der Mensch im Bild nicht vorhanden ist, reagieren wir verstört. Prokops menschenentleerte „Stadtlandschaften“ wirken wie die Überbleibsel einer Kultur nach einem GAU. Wie ein Archäologe, der nach Jahrtausenden die Reste menschlicher Artefakte studiert und sich das Leben dahinter stückweise zu erschließen versucht, so blicken wir auf diese Bilder. Grundfragen nach den Bedingungen menschlicher Existenz drängen sich geradezu auf.

So ist es nur konsequent, dass Zeichen des Verfalls den Künstler reizen. Beispielhaft sei das Bild der Salpeterfabrik in der chilenischen Atacama-Wüste genannt. Ihre Geschichte erzählt von Erfolg und Niedergang, Reichtum und Kriegen. Durch Salpeter, dem wichtigen Grundstoff für Sprengstoff und Düngemittel, war Henry B. Sloman zum reichsten Hamburger geworden und ließ das Chile-Haus erbauen. Als schließlich Anfang der 1930er Jahre in Deutschland die labormäßige Synthese von Salpeterverbindungen erfunden war, brauchte bald niemand mehr das Naturprodukt aus Südamerika. Seither verfällt die alte Fabrikanlage, heute ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Bilder von Gerhard Prokop sind Momentaufnahmen. Sie zeigen im Meer der Zeit genau eine bestimmte Situation, die bald darauf von uns schon als historisch begriffen wird. Auf einem Bild aus dem Jahre 2006 entdecken wir in der Skyline von Rosenheim den eingerüsteten Turm von St. Nikolaus. 2008 sehen wir in einer Luftbildansicht den Innspitz und den Mühlbachbogen mit den ersten Erdarbeiten für die Landesgartenschau. Im Jahr darauf dokumentieren Darstellungen der Prager Karlsbrücke und des Parlamentsgebäude in Wien mit einem irrwitzigen, aufgesetzten Häuschen Stadien ihrer Renovierung.

So sorgfältig wie Gerhard Prokop die Motive gestaltet, so sorgfältig wählt er sie auch aus. Bevor er das Filmplakat, das er 1979 in den Straßen von Kairo fotografiert hatte, malte, ließ er sich von einem in Rosenheim lebenden Ägypter die Aufschrift übersetzen. Sie war harmlos und nannte nur die Darsteller einer Filmkomödie, die im Kairoer Stadtteil „Dattelhändler“ spielt.

Gerhard Prokop lacht verschmitzt, wenn er von einem Coup erzählt, der ihm im Internet gelungen ist. Auf google earth platzierte er über fünfzig seiner Ansichten von Städten und Orten als Fotografien seiner Gemälde. Eigentlich darf man hier nur eigene Fotos einstellen. Aber ist ein Foto von einem Bild, das nach einem Foto entstand nicht auch irgendwie ein Foto? Bis jetzt ist es den Betreibern nicht aufgefallen. Prokops Blick von der Spitze der Cheops-Pyramide in Gizeh, gemalt nach einem Foto aus dem Jahre 1979 als man mit einer kleinen Schmiergeldzahlung noch hinaufklettern konnte, wurde in dem halben Jahr zwischen Juli 2010 und Januar 2011 rekordverdächtig über 20.000 mal angeklickt.

Freuen wir uns, dass der Kunstverein Bad Aibling mit dieser Ausstellung einen Künstler ehrt, der mit seinem vielfältigen Werk seit fast vierzig Jahren in der hiesigen Kunstszene präsent ist.

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